Das Ende der Angst

Es gibt Wege im Leben, die wir gehen müssen, ohne auch nur im Ansatz zu ahnen, wohin sie uns führen und welche Hürden und Chancen sie mit sich bringen werden. Wir laufen, wir stolpern, rappeln uns auf, laufen weiter, hasten wie durch einen endlos langen Korridor und erfassen nur flüchtig im Vorüberrennen, dass auf jeder der Türen, die rechts oder links auf dem Gang liegen, Schilder stehen. Oft sind sie kaum lesbar im Eiltempo, das manchmal unmöglich macht, lange genug mit dem Blick zu verweilen, um zu erkennen, was sich hinter den Eingängen verbergen könnte. Immer vorwärts und immer weiter geradeaus geht der schier endlose Weg – und dies solange, bis wir erkennen, dass wir das Tempo herausnehmen müssen, um: unseren Puls herunterzufahren, eine Standortbestimmung durchzuführen und einen Plan zum weiteren Vorgehen zu entwerfen, der uns wieder zu „Herren der Lage“ werden lässt. Wenn wir etwas lösen wollen, müssen wir es zunächst einmal überhaupt verstehen. Das erfordert Ruhe, Geduld, Distanz, Reflexion und den realistischen Blick auf die Situation.

Und nun, da ich die Geschwindigkeit drossele, darüber wieder zu Atem kommen und den Blick endlich wieder einmal länger auf etwas ruhen lassen kann, sehe ich, dass geradeaus vor mir endlich die Tür liegt, nach der ich in der Hektik des Geschehens immer gesucht habe. Ich reibe mir die Augen, um sicherzugehen. Tatsächlich – da steht es ganz klar lesbar: Ende der Angst.

Ich bin erleichtert und doch etwas unsicher: Was mag dahinter liegen? Ich drücke vorsichtig die Klinke herunter und sehe im Lichtschein, der nun freigegeben wird, dass auf der Türschwelle ein Wort in Großbuchstaben auf dem Fußboden prangt. Dort steht einfach nur: GEWISSHEIT!

Ja – genau das ist es wohl, was das Ende der Angst erst möglich macht. Nicht „RETTUNG“; nicht „LÖSUNG“; nicht „WAHRHEIT“; nicht „SIEG“, sondern einfach nur erstmal GEWISSHEIT, die hier schon ausreicht, um einen akzeptablen Abschluss und eine Neuorientierung überhaupt wieder zuzulassen.

Und da alles, was vergangen ist, immer wieder neu beginnt, liegt hinter dieser Türschwelle nun bereits schon der nächste Korridor meines Lebensweges bereit – und unter allen weiteren Türen, die nun wiederum dahinter liegen mögen, sucht mein Auge ganz gezielt nach dem Eingang mit der Aufschrift „ZUVERSICHT“ und die Hand greift automatisch und ganz beherzt nach der Türklinke…

Sermin Christina Orucoglu