Wie schnell aus Achtung Ächtung werden kann

Beim reinen Hinsehen machen zwischen den Worten Achtung und Ächtung nur zwei Punkte über dem „A“ den sehr großen Unterschied. Und doch ändert schon allein eine scheinbar kleine Unaufmerksamkeit alles und führt in den genauen Gegensatz der Bedeutung. Aus der Achtung, die man jemandem entgegenbringt, um ihm Respekt zu zollen und ihn im positiven Sinne hervorzuheben, kann so schnell die Ächtung werden, die den Menschen zum Außenseiter der Gesellschaft erklärt und ihn darüber auch möglicherweise zur Rechtlosigkeit verurteilen kann. 

502 Jahre liegen heute genau zwischen dem geschichtlichen Ereignis der Verhängung der Reichsacht am 8  Mai 1521 gegen Martin Luther und der Gegenwart, in der wir noch immer mit unsicheren Bewegungen eine Gratwanderung zwischen der Freiheit der Meinung und der Flüchtigkeit unserer oft ungeprüft getroffenen Urteile über Andersdenkende vollziehen, ohne uns der Bedeutung dieses Vorgangs im Alltag bewusst zu sein oder überhaupt darüber nachzudenken bzw. nachdenken zu wollen. 

Im Jahr 1521 waren die Menschen dem Mittelalter gerade um 21 Jahre „entwachsen“ – und nun sind wir knapp über 500 Jahre später noch immer oft nur einen Augenaufschlag weit entfernt vom alten Denken und Handeln, das besonders diejenigen ohne inhaltliche Auseinandersetzung ausgrenzt, die nicht unbedingt ohne Widerspruch der Masse folgen – wenn ich mir unsere gesellschaftliche Situation im eigenen Land und auch die Weltlage insgesamt einfach mal betrachte.

Man sagt von manchen Menschen gerne eher verächtlichmachend, dass sie „Bedenkenträger“ seien – als ob es der reinen Vernunft entsprechend einen solchen Vorwurf an einen freien Menschen überhaupt geben kann. Wenn wir Menschen in ihrem Menschsein auch heute noch grundsätzlich in Frage stellen, weil sie kritische Punkte offen beleuchten und ansprechen – also eben gerade mit Bedacht handeln und Bedenken äußern, dann haben wir das Mittelalter wohl nicht wirklich hinter uns gelassen.

Mir machen Menschen, die hinterher, wenn Dinge schiefgelaufen sind, den traurigen Mut aufbringen zu behaupten, dass sie das Scheitern „selbstverständlich“ bereits vorher kommen sahen, aber im Nachhinein vorgeben, dass sie aus Bequemlichkeit oder aber aus Angst vor einer möglichen Ausgrenzung, keine Kritik äußern wollten, deutlich mehr Sorgen, als die Menschen, mit deren Haltung ich mich auseinandersetzen kann, weil sie offen ausgesprochen wird.

Vielleicht ist die leichtgemachte Verächtlichmachung von Andersdenkenden oft nur der mehr als fragwürdige Schutz davor, dass man durch deren Mut zur offen vorgetragenen Kritik auch an die eigene Konflikscheuheit erinnert wird und eben nicht immer das unser Gefallen findet, was wir im uns auf diese Weise von anderen vorgehaltenen Spiegel als unser eigenes Gesicht erblicken…