„Meinem“ Stern folgen…

Was für ein Bild – nicht „einem“, sondern „seinem“ Stern folgen. Ohne Fragen, ohne Zögern, ohne mögliche Zweifel von außen als Hemmnisse zuzulassen. Einfach nach oben sehen, den Kurs ausrichten und laufen, rasten, links und rechts schauen und verweilen, solange es nötig ist.

Und immer wieder diese „Irrlichter“, die zu Umwegen und Irritationen verleiten, weil zur selben Zeit alleine in Deutschland fast 83 Millionen Menschen ihrem jeweiligen Stern folgen. Wie schnell es in der Hektik und durch Flüchtigkeitsfehler da zu Verwechslungen kommen kann und: zack – schon folgt man dem „falschen Stern“. Und da sieht man wieder, wie verwöhnt wir heutzutage durch unsere „übertechnisierte“ Welt sind, wenn wir feststellen müssen, dass keine klare und bestimmte Anweisung kommt: „Bei nächster Gelegenheit bitte wenden“ oder „Die Route wird neu berechnet“.

Hier merke ich doch deutlich, wie verführbar ich inzwischen bin – und gleiches gilt auch für den überwiegenden Teil meiner Zeitgenossen – für die scheinbare Bequemlichkeit der technischen Unterstützung, die „gefühlt“ schon eher in eine „schleichende Entmündigung“ auszuarten scheint.

Und so an das Ausregeln im Alltag durch Routine, Technik und schlaue Leitfäden gewöhnt, darf ich mich doch nicht wundern, dass die „Kurskorrektur“ und die Wiederausrichtung auf „meinen Stern“ nach dem „Verlaufen“ nicht ganz so leicht ist. Meine „Sinne“ müssen erstmal wieder mühsam lernen, mich auf eigenständige Entscheidungen und auf überwiegend intuitives und auf eigene Erfahrungen basierendes Handeln zu verlassen. Es braucht Vertrauen – und das muss erst aufgebaut werden bzw. ist es eher wie ein Wiederkennenlernen der eigenen Person und der vorhandenen Talente, Kenntnisse und Fähigkeiten, über die ich als Kind nicht nachgedacht, sondern die ich „einfach so“ genutzt habe.

Verrückt – oder nicht? Wir schaffen es, einer hochtechnisierten Welt ohne viel nachzudenken einen Vertrauensvorschuss ungeprüft entgegen zu bringen, obwohl nur ein banaler Stromausfall, ein defekter Computerchip, ein „zufällig zu Schaden gekommenes Kabel“ – kurz eine unscheinbare Kleinigkeit – das vollständig ausgeklügelte System zum Erliegen bringen können, um uns im Anschluss daran vor Augen zu führen, wie hilflos wir sind. Und schon sind wir klein und ohnmächtig und klagen uns dafür an, uns von der Technik vollkommen abhängig gemacht zu haben. Wenn der „Ausfall“ länger andauert, kommen wir fast schon auf die Idee, dass etwas „schiefläuft“ und wir schnellstmöglich zurückkehren müssen zur Eigenverantwortung und die selbstgewählte Knechtschaft gegenüber einem zum Götzen in einem Mantel aus eiskaltem, grauen und gehärteten Stahl und einem kaum noch überschaubaren Innenleben aus Platinen, Leitungen, Chips, Transistoren und Dioden aufgeben müssen.

Ja – es ist unschwer zu erkennen, dass nicht mehr die Technik uns Menschen dient, sondern wir inzwischen gegenüber der Technik in fast sklavische Abhängigkeit verfallen sind. Wir vertrauen auf einen seelenlosen und nach menschlichen Fähigkeiten programmierten „Weltenherrscher“ – und erschrecken darüber grenzenlos bis… … der Stromkreis wieder geschlossen und die Welt wieder in Ordnung ist. Puh – Schwein gehabt – keine Veränderung nötig! WIR sind wieder Herren des Geschehens – auch wenn wir „Normalos“ weder verstehen, warum das System tatsächlich zum Erliegen kam und gleichfalls mit den Achseln zucken würden, wenn wir erklären sollten, warum es jetzt denn nun wieder funktioniert.

Und so bin ich inzwischen auch viel zu sehr daran gewöhnt, mich allzu oft aus Bequemlichkeit der unübersehbaren Menschenmasse anzupassen, die ganz einfach und blindlings den breiten Pfad der fortschreitenden Zivilisation und der gierigen und offenbar unstillbaren Sehnsucht nach immer weiterem Fortschritt einschlägt – und sich auf dem Weg dahin die Umgebung und Lebensräume gegen das eigene Gefühl konsequent und unbeirrbar „schönredet“. Bloß nichts verändern. Wer weiß, wohin das dann führt?

Wir sind so anmaßend in unserem Streben nach dem was wir lieben oder begehren, das wir wohl seit der Vorstellung eines Gottesbildes nicht mehr damit klarkommen können, einfach „nur Geschöpfe“ zu sein. Nein – wir wollen selber Schöpfer sein – wir streben nach DER PERFEKTION, wohl wissend, dass die Fehlbarkeit vielleicht der menschlichste und womöglich gar der liebenswerteste Zug an uns ist. Gut – vielleicht streben wir nicht alle danach, aber wer zusieht und gemütlich mitläuft, der lässt es trotzdem zu – egal, ob mit oder ohne oft still geäußerten Protest.

Ja – wir sind Menschen und wir verlieben uns oftmals in das, was uns ähnlich ist oder aber was wir für erstrebenswert und uns zukommend oder ähnlich halten. Und manch einer, der das Wesen der Liebe nicht verstanden hat, strebt danach, zu werden, was er liebt: und so sehen wir mannigfaltige Versuche – auf der Skala unnötig bis absolut abstoßend – in denen der Mensch beweist, zu welchen Erfindungen und Handlungen er fähig ist. Und da wir unperfekt sind und „menscheln“, werden wir das, was jedes Kopieren ohne dementsprechendes Talent oder eine dafür nötige Anlage eben nur erreichen kann: wir werden eine schlechte Kopie oder bildlich gesehen ein Dianegativ. Wir werden eben niemals die angestrebten „kleinen Götter“, sondern oftmals gelingt uns so noch nicht mal mehr das, was doch als erreichbares und viel erstrebenswerter scheinendes Ziel vermutlich in den meisten von uns „ehemaligen Kindern“ tiefverschüttet „schlummert“: der Wunsch Mensch zu sein und im Einklang mit sich und der Welt zu leben. Nicht „Halbgott“ sein wollen, sondern „Vollmensch“ werden können.

Und während ich nun endlich mal wieder konzentriert in den Himmel schaue und das Sternenzelt länger in Augenschein nehme, wird mein Blick festgehalten von einem Stern, der etwas stärker zu leuchten scheint und sich kaum beschreibbar, aber für mich deutlich spürbar, irgendwie von den anderen abhebt. Ja, das könnte er sein… Und während ich noch denke, dass ich dringend im Gedächtnis behalten muss, dass ich diese gerade gelernte Lektion nicht vergessen darf, zücke ich mein „Diktiergerät“ und schalte es auf Aufnahme: „Memo an mich: dran denken, von Zeit zu Zeit den Blick auf etwas ruhen zu lassen – auf Menschen, auf Dinge, auf mich und ab und zu der Welt da draußen den Ton abzustellen, um die leise und mich mein Leben lang begleitende innere Stimme zu hören, die schon viel zu lange einsame Monologe führen muss. Memo: Ende.“

Ich schalte das Diktiergerät ab und schaue ein weiteres Mal nach oben. Einen kurzen Moment lang – na, wohl eher nur einen Augenaufschlag lang – schien „mein“ soeben wieder entdeckter Stern kurz aufzuleuchten. Und mit einem kurzen Wohlgefühl – gleich einem „nach Hause kommen“ nach einer langen Reise und wissend, dass man viel zu lange „weg war“ – denke ich schmunzelnd: „Ja, tatsächlich freuen wir uns offenbar beide darüber, uns endlich einmal wiederzusehen“ – und zwinkere lächelnd zurück!

Sermin Christina Orucoglu