Sommer 1969 – „Europa traf Asien…“

Bilder sind Momentaufnahmen. Sie verraten uns, wer, was und wo wir irgendwann einmal waren. Dieses Foto entstand im ersten Türkeiurlaub 1969 und hält damit u. a. den ersten Auslandsaufenthalt von 3 Generationen mütterlicherseits fest. Meine Mutter läutete zeitlich die Geburtstagswoche im August ein und wurde in dem Urlaub 24 Jahre alt, bevor ich dann 6 Tage später meinen 4. Geburtstag feierte. Meine Oma Else musste erst 54 Jahre alt werden, bevor sie das erste Mal ins Ausland reisen konnte. Aber tatsächlich war es zu der Zeit auch noch nicht selbstverständlich, solch weite Reisen anzutreten und eine völlig fremde Welt und Kultur dann auch nicht im Hotel, sondern mitten im wirklichen Alltagsleben bei der Familie meines Vaters zu verbringen.

Dieser Urlaub bot das erste Mal die Möglichkeit, dass „die wichtigsten Vertreter“ beider Seiten der Familie sich kennenlernen konnten – Europa traf Asien – tatsächlich eine erste Begegnung zweier völlig anderer Welten. Unterschiedliche Sprachen, Lebenswirklichkeiten, Traditionen und Weltanschauungen – und mittendrin nur ein einziger Dolmetscher: mein Vater. 

Vorprogrammiert waren daher natürlich viele belustigende Missverständnisse und eine ganze Ansammlung von aus der Unkenntnis über andere Sitten und Gebräuche entstandenen Geschichten und Anekdoten sowie auch ebenso vielen Irritationen und Herausforderungen, die sich im Laufe der ersten „Gehversuche“, einander kennen und die verschiedenen Lebensweisen „überwiegend sprachlos“ verstehen zu lernen, fast zwangsläufig ergeben mussten.

Ich bezeichne und beschreibe mich gerne als „Eurasierin“ – was ich als Kind eines europäischen und eines asiatischen Elternteils ja auch definitiv bin. Tatsächlich bewege ich mich bezogen auf meine Mentalität deutlich zwischen den beiden Kontinenten und weise oftmals mit einem Augenzwinkern jeweils auf genetisch einfach nicht oder eben doch angelegte „Stärken und Schwächen“ hin. Ja: ich bin grundsätzlich sehr verlässlich, aber kann auch zeitgleich „fünfe gerade sein“ lassen. Wer sich selbst und seine eigenen so unterschiedlichen Temperamente zu tolerieren und zu akzeptieren versucht, der lässt auch anderen gerne diese Freiheit und erfreut sich dabei an der Vielfalt, die Menschen und ihre Unterschiede und Eigenarten im Umgang miteinander nun einmal gerade ausmachen.

So hat doch wiederum alles Widersprüchliche auch sein „Gutes“. Europa trifft Asien – nicht nur in Istanbul, sondern auch mitten in mir und meinem Denken und Handeln – eben in meinem einfach „nur“ Ich-selber-Sein.

Nun sind also glatte 50 Jahre seit der Entstehung des oben abgebildeten Zeitdokuments ins Land gegangen – und auch heute, am 22. August, ist der 74. Geburtstag meiner Mutter bereits schon der „Vorbote“ meines 54. Geburtstags in 6 Tagen. Ja, so schließt sich nun auch dieser kurze „gedankliche Erinnerungskreis“ mit der Feststellung, dass ich in der kommenden Woche dann exakt in dem gleichen Alter bin, in dem sich seinerzeit meine Oma im Jahr 1969 befand…

S. C. O.