
Projekt „Nachtgedanken – Tag X“







Was antwortet man auf solche Fragen?
Als ich heute kurz in der Duisburger Innenstadt unterwegs war, hörte ich im Vorübergehen einer Frau zu, die auf ein Paar zuging und ihnen währenddessen von weitem schon eine Frage entgegenrief: „Sind Sie“s oder sind Sie’s nicht?“
Ich musste kurz schmunzeln und dachte mir: Was antwortet man denn bestenfalls auf so eine Frage? Aber im nächsten Moment fand ich die Lösung dann doch wiederum ganz einfach: „Je nachdem, wer einen in dieser Form fragt, ist man es eben oder man ist es eben nicht!“ ?
I can’t make tea!
Vorhin sprach ich mit einer Bekannten u. a. über die Zubereitung von Tee. Jeder hat da ja so seine eigenen Vorlieben und Bequemlichkeiten. Ich persönlich genieße es, wenn ich Zeit habe, losen Tee zu verwenden, kann aber oft gerade dann, wenn es schnell gehen soll, den praktischen Teebeuteln eine Menge abgewinnen.
Dabei fiel mir eine Begebenheit wieder ein, in der ich 1986 ein weiteres Mal sehr über die Unterschiede bzgl. meiner deutschen Gewohnheiten und die türkische Vorstellungswelt „gestolpert“ bin. Ich war damals mit meinem Vater für ein paar Tage in der Türkei und wir besuchten u. a. einen Bruder meines Vaters in Izmit. Die Ehefrau meines Onkels war Englischlehrerin und für ein paar Tage beruflich in Ankara. Dies verleitete wohl meinen Onkel dazu, die Frage der anstehenden Teezubereitung in meine „mutmaßlich fähigen Hände“ zu geben. Mein Onkel bat meinen Vater, meinen Cousin und mich, ihm in die Küche zu folgen und zeigte dort – mit ein paar türkischen Sätzen und einigen Gesten begleitet – auf einige Gefäße, aus denen sich wohl vermutlich in der richtigen Reihenfolge eine Art von Samowar konstruieren ließ.
Mein Cousin, der meinen fragenden Blick ob der türkischen Erläuterungen richtig als Unverständnis deutete, übersetzte mir die Ausführungen meines Onkels kurz auf Englisch, in dem er sagte: „You make tea!“ Ich schaute fasziniert auf die Blechkannen und entgegnete genauso kurz wie bestimmt: „I can’t make tea!“
Mein Cousin sah mich mit großen Augen an – offenbar stand er sekundenlang unter einem „Kulturschock“, so dass ich ihm mit ein paar Worten erklärte, dass wir in Deutschland überwiegend Tee in Beuteln aufgießen. Er schmunzelte – wie schon so häufig an dem Tag, an dem wir immer wieder auf die Unterschiede unseres Alltags in Deutschland bzw. in der Türkei stießen – und beschloss, den Tee selbst zu kochen, wobei ich ihm sehr fasziniert bei der Sortierung der Töpfe zusah.
Es liegt nun über 30 Jahre zurück, dass ich meinen Cousin das letzte Mal gesehen habe. Er war damals etwa 16 Jahre alt und ich erinnere mich noch immer sehr gut und gerne an sein Lachen und seinen Humor. Wie es gerade vermutlich die völlig unterschiedlichen Lebensweisen erklärbar machen, haben wir uns zwangsläufig aus den Augen verloren. Was allerdings bleibt, ist besonders dieser eine im Gedächtnis eingefrorene Moment in der Küche meines Onkels in Izmit und das gemeinsame unendliche Erstaunen darüber, dass ich als Deutschtürkin nicht in der Lage war, Tee zu kochen…
Alles, was vergangen ist, beginnt
Das ist für mich im Winter immer wieder der Lichtblick: Alles, was vergangen ist, beginnt! – Ein immer wiederkehrendes Sinnbild von vergehen und werden, das ohne einander nicht bestehen kann.
Auch wir fangen doch ständig irgendetwas wieder oder aber von Neuem an. Vermutlich sind wir nur so sehr daran gewöhnt, dass wir es einfach nicht mehr so recht wahrnehmen bzw. es für selbstverständlich halten.
Dabei sind alle „ersten Male“ von unendlichem Wert – positiv wie negativ. Die Erinnerungen daran prägen, bleiben haften und sind einzigartig, weil sie sich eben nie wieder wiederholen lassen. Gerade das macht es doch so wichtig, sich dieses Gefühl und dieses Erlebnis ganz bewusst zu machen und diesen Moment und seinen Zauber im Gedächtnis einzufrieren.
Nicht alles ist so bahnbrechend, wie die ersten eigenen Schritte, die ersten Worte und alles was ein kleiner Mensch lernt, um erst einmal in sein Leben zu starten. Dies sind die „ersten Male“, die für die anderen Wunder sind, in einer Zeit, in der wir unser Wachstum, unsere Entwicklungsschritte nicht bewusst erlebt haben. Es sind die Dinge, die wir später immer wieder erzählt bekommen, als sei es das „erste Mal“ – und die wir genauso geduldig immer wieder wie „neu“ hören, eben vermutlich, solange unsere Eltern leben.
Jede neue und bewusste Begegnung mit Menschen, Situationen und Lebensabschnitten sind erste Male, in denen wir neues entdecken: im anderen und dadurch auch immer wieder an uns selbst. Schon jeder Tag ist – wenn man ihn sich bewusst macht – ein ganz eigenes und unwiederbringliches erstes Mal – mit einer Menge nutzbarer Chancen und vielen Entscheidungen, die wiederum neue Hoffnungen und Träume vielleicht auch schon wieder in den nächsten Tag hineintragen können.
Und weil eben alles das, was vergangen ist, auch wieder neu beginnt, kann man zeitlebens jeden Tag wieder von Neuem anzufangen – ist jeder Tag einzigartig: eben ein unwiederbringliches „erstes Mal“!
Es ist einfach!
Wir kommen allein und wir gehen allein – und grundsätzlich ist das die einzige Gewissheit, die jeder von uns hat. Und ist diese Erkenntnis nun erschreckend oder bedrohlich? Welche Bedeutung messe ich ihr bei?
Die Erkenntnis ist nicht gut, sie ist nicht schlecht, sie ist einfach!
Vielmehr und viel weniger lässt sich doch von allem, was wir empfinden, gleichfalls sagen. Nichts ist nur gut, nicht ist nur böse – aber alles, was man fühlt und denkt, ist – auf seine eigene Weise.
Letztlich ist alles, was wir erleben, ein Spiegel dessen, wie wir empfinden, was wir erleben. Und geben wir somit nicht vielem selbst die Richtung und die Wichtigkeit vor?
Wenn man sich das Wort „Gemeinsamkeit“ einmal näher betrachtet, so besteht es zum überwiegenden Teil aus der darin enthaltenen „Einsamkeit“ – was nur geschrieben wirklich auffällt.
Wir schwimmen eben mit im Menschenstrom, während wir dennoch unser eigenes Fahrwasser suchen und finden müssen.
Wir kommen allein und wir gehen allein – und befinden uns unterwegs in vielerlei Gesellschaft von Menschen und Dingen, die nicht immer gut und auch nicht immer schlecht, aber auf jeden Fall immer einfach eben um uns sind…