
Die „goldene Regel“ der Achtung


Ich mag Menschen, an denen Zweifel nagen;
Die sich immer hinterfragen;
Die klar ihre Meinung sagen;
Die anpacken, statt nur zu klagen.
Ich mag keine Menschen, die nur dem Gelde nachjagen;
Die immer nur ihr Unglück beklagen;
Die, wenn’s drauf ankommt, doch verzagen;
Die zu allem „Ja und Amen“ sagen.
Ich mag Menschen, die alles wagen;
Die aus der Menge hervorragen;
Die ihre Kämpfe fair austragen;
Die sich mit ’nem Gewissen plagen.
S. C. O.
Der Phönix, heißt es, muss sich verbrennen,
Um aus der Asche neu zu erstehen.
Der Mensch muss seine Tiefen kennen,
Um in sein Innerstes zu sehen.
Die Siege nimmst du selbstverständlich,
Drum wächst du auch an ihnen nicht.
Die Niederlage, wenn sie schmerzlich,
Hat für dich deutlich mehr Gewicht.
Denn: Ist dein Stolz erstmal gekränkt,
Denkst du erst wirklich drüber nach.
Erfahrung kriegt man nicht geschenkt
Und bereitet oftmals Ungemach.
So zeigt sich erst in Niederlagen,
Wie es wirklich um dich steht.
Dann musst du dich hinterfragen,
Sehen, wie es weitergeht.
Nur wenn man wirklich unten ist,
Lernt man die Dinge neu zu schätzen.
Es ist wohl des Schicksals List,
Dir deine Grenzen vorzusetzen.
S. C. O.
Das Gedicht „Phönix“, das ich im Jahr 2002 geschrieben habe, widme ich heute einer enorm starken Frau, die für ihre Überzeugungen und für das, was sie liebt, zu kämpfen versteht – so schwierig die Bedingungen dafür auch sein mögen –zu ihrem 30. Geburtstag.
Ja, tatsächlich „muss“ man sich im Leben für das, woran man glaubt und was sich allen Widerständen zum Trotze zu bewahren lohnt, oftmals sinnbildlich verbrennen, um aus der Asche neu zu erstehen.
Die „Wandlung“ ist dann unumkehrbar vollzogen: nach innen und nach außen. Nichts ist am Ende so, wie es zuvor war – und der größte Wandel vollzieht sich doch immer spürbar an und in uns. So ist es eben mit dem „Wachstum“: die Schmerzen gehören dazu und es gibt keinen Weg zurück zu dem, was und wie es vorher war.
Sich diesen Widrigkeiten immer wieder zu stellen, ist jedes Mal ein schmerzhafter und oftmals kraftraubender Kampf, an dessen Ende doch immer wiederkehrend die Frage zu beantworten ist: War das Ergebnis alle Mühen und alles Aufreiben wert? Das weiß letztendlich tatsächlich nur jeder für sich allein.
Aber eben genau das macht auch einen Großteil unserer Freiheit aus – und wenn es „zu einfach“ wäre, würde es wohl jeder machen! ?


Neulich sprachen wir in einer größeren Runde u. a. darüber, wo Untreue denn wohl eigentlich beginnt – und ich sagte damals mit einem Augenzwinkern: „Ganz einfach – doch wohl immer bei sich selbst…“ ?
Nachdem ich im Januar 2003 den Text des folgenden Gedichts verfasste, stelle ich fest, dass ich mich tatsächlich immer noch in und zwischen diesen Zeilen wiederfinde – und denke mit einem Lächeln an alle die, die mich auf meinem Lebensweg begleiten und bestärken.
Unabhängig von der „Wetterlage“ – in Stürmen und bei Flauten – Menschen um mich zu haben, die an mich glauben, einfach da sind und vor allen Dingen auch da bleiben – das ist ein tragender Bestandteil meiner „inneren Heimat“ – weil nun einmal niemand eine Insel ist… ?
Das alles bin ich
Die Axt im Walde nennt man mich.
Undiplomatisch – das bin ich.
Geradeheraus, unbeugsam ohne Frage,
Überlege nicht lang, was ich wohl sage.
Ich verschließe mich und bin ganz offen.
Ich resigniere oft und kann doch hoffen.
Ich bin vital und bin auch träge.
Ich denke logisch und auch schräge.
Milchmädchenrechnungen mach’ ich gern auf.
Bin mal am Boden und mal obenauf.
Ich lache mit euch und lehn’ mich zurück.
Bin mal Pechmarie und mal Hans im Glück.
Bin Perfektionist und mal mediterran.
Bin mal ganz oben, mal sterbender Schwan.
Bin mal ganz stur und mal handzahm.
Bin mal beschwingt, mal flügellahm.
Bin nicht zu überreden, aber zu überzeugen.
Bin stocksteif und lasse mich nicht beugen.
Bin scheinbar kühl und doch sensibel.
Bin ketzerisch und lese in der Bibel.
Das alles bin ich – nun macht was daraus.
Ich spiele gerne mit euch Katze und Maus.
Ich bin euch ein Rätsel und mir manchmal auch,
Das ich nicht unbedingt zu lösen brauch’.
S. C. O.


Bilder sind Momentaufnahmen. Sie verraten uns, wer, was und wo wir irgendwann einmal waren. Dieses Foto entstand im ersten Türkeiurlaub 1969 und hält damit u. a. den ersten Auslandsaufenthalt von 3 Generationen mütterlicherseits fest. Meine Mutter läutete zeitlich die Geburtstagswoche im August ein und wurde in dem Urlaub 24 Jahre alt, bevor ich dann 6 Tage später meinen 4. Geburtstag feierte. Meine Oma Else musste erst 54 Jahre alt werden, bevor sie das erste Mal ins Ausland reisen konnte. Aber tatsächlich war es zu der Zeit auch noch nicht selbstverständlich, solch weite Reisen anzutreten und eine völlig fremde Welt und Kultur dann auch nicht im Hotel, sondern mitten im wirklichen Alltagsleben bei der Familie meines Vaters zu verbringen.
Dieser Urlaub bot das erste Mal die Möglichkeit, dass „die wichtigsten Vertreter“ beider Seiten der Familie sich kennenlernen konnten – Europa traf Asien – tatsächlich eine erste Begegnung zweier völlig anderer Welten. Unterschiedliche Sprachen, Lebenswirklichkeiten, Traditionen und Weltanschauungen – und mittendrin nur ein einziger Dolmetscher: mein Vater.
Vorprogrammiert waren daher natürlich viele belustigende Missverständnisse und eine ganze Ansammlung von aus der Unkenntnis über andere Sitten und Gebräuche entstandenen Geschichten und Anekdoten sowie auch ebenso vielen Irritationen und Herausforderungen, die sich im Laufe der ersten „Gehversuche“, einander kennen und die verschiedenen Lebensweisen „überwiegend sprachlos“ verstehen zu lernen, fast zwangsläufig ergeben mussten.
Ich bezeichne und beschreibe mich gerne als „Eurasierin“ – was ich als Kind eines europäischen und eines asiatischen Elternteils ja auch definitiv bin. Tatsächlich bewege ich mich bezogen auf meine Mentalität deutlich zwischen den beiden Kontinenten und weise oftmals mit einem Augenzwinkern jeweils auf genetisch einfach nicht oder eben doch angelegte „Stärken und Schwächen“ hin. Ja: ich bin grundsätzlich sehr verlässlich, aber kann auch zeitgleich „fünfe gerade sein“ lassen. Wer sich selbst und seine eigenen so unterschiedlichen Temperamente zu tolerieren und zu akzeptieren versucht, der lässt auch anderen gerne diese Freiheit und erfreut sich dabei an der Vielfalt, die Menschen und ihre Unterschiede und Eigenarten im Umgang miteinander nun einmal gerade ausmachen.
So hat doch wiederum alles Widersprüchliche auch sein „Gutes“. Europa trifft Asien – nicht nur in Istanbul, sondern auch mitten in mir und meinem Denken und Handeln – eben in meinem einfach „nur“ Ich-selber-Sein.
Nun sind also glatte 50 Jahre seit der Entstehung des oben abgebildeten Zeitdokuments ins Land gegangen – und auch heute, am 22. August, ist der 74. Geburtstag meiner Mutter bereits schon der „Vorbote“ meines 54. Geburtstags in 6 Tagen. Ja, so schließt sich nun auch dieser kurze „gedankliche Erinnerungskreis“ mit der Feststellung, dass ich in der kommenden Woche dann exakt in dem gleichen Alter bin, in dem sich seinerzeit meine Oma im Jahr 1969 befand…
S. C. O.
Es gibt ein geflügeltes Wort, das lautet: „Wer schreibt, der bleibt!“ Das haben wir sicher alle mal gehört und möglicherweise auch schon das eine oder andere Mal „weitergetragen“.
Mir kam dieser Ausspruch vorhin in den Sinn, als ich über ein Gedicht, dass ich vor rund 16 Jahren schrieb und an anderer Stelle hier im Blog bereits schon einmal veröffentlichte, stolperte. Ich dachte unvermittelt über einen Begriff nach, dessen „wahrer Wert“ mir gerade in diesen Tagen immer bewusster wird, nämlich: die Authentizität.
Wenn ich mir nun dazu die genaue Beschreibung zu der Bedeutung des Wortes laut „Duden“ ansehe, wird mir klar, warum mir das Wort heute wichtiger denn je erscheint: Echtheit, Glaubwürdigkeit, Sicherheit, Verlässlichkeit, Wahrheit, Zuverlässigkeit
Genau das sind – wie ich finde – die Begrifflichkeiten, die gerade zurzeit auch gesellschaftlich und politisch gesehen mehr Wunsch als Realität zu sein scheinen. Es ist oft ein Trugschluss, wenn man sich zu sicher ist, dass das, woran wir uns gewöhnt haben und was fast schon zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist, keinen wachsamen Blick mehr auf die weitere Entwicklung und dann ggf. eine neue Ausrichtung zur „Kurskorrektur“ benötigt. Dies gilt wohl zugleich für jeden einzelnen von uns und die Sicht auf unsere jeweilige persönliche Situation, als auch für uns alle gemeinschaftlich als Teile unserer demokratisch geprägten Solidargemeinschaft auf den aktuellen „Ist-Zustand“ unserer Gesellschaft.
Treue fängt immer mit der Treue zu sich selbst an. Da wir jedoch uns und unsere Sicht auf Dinge verändern können – oder aber manchmal Überzeugungen neuem Wissen und Erkenntnissen zwangsläufig weichen müssen – bietet ein jeder neuer Tag somit auch immer die Chance zum Neuanfang oder zur bewussten Entscheidung, weiterhin an sich und seinen Werten festzuhalten.
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Jeder Tag
Jeder Tag ein neuer Anfang –
Neues Spiel und neues Glück.
Jeden Tag die Welt verbessern
Und sei es auch nur Stück für Stück.
Jeden Tag von Neuem träumen,
Dass Weltfrieden möglich ist.
Jeden Tag von Neuem glauben
An eine Freundschaft ohne Zwist.
Jeden Tag die faire Chance,
Neue Wege zu begehen.
Jeden Tag der Hoffnungsschimmer:
Alles wird schon gut ausgehen!
Jeden Tag die Macht zu haben,
Meine Richtung zu bestimmen.
Jeden Tag die Kraft zu haben,
Auch gegen den Strom zu schwimmen.
Jeden Tag glauben zu können,
Dass ich jemandem wichtig bin.
Immer die Gewissheit haben:
Jeder Tag ist ein Neubeginn!
S. C. O.

„Etwas Festes muss der Mensch haben, daran er zu Anker liege, etwas, das nicht von ihm abhange, sondern davon er abhängt“ so lautet ein Zitat von Matthias Claudius, das mir gerade durch den Kopf ging. Etwas Festes, woran man zu Anker liegen oder an das man sich vertrauensvoll lehnen kann – da hat sicherlich jeder eine andere Idee davon, was dies für ihn sein kann. Für die einen ist es der Glaube an „ein höheres Wesen“, für die anderen möglicherweise der Lebenspartner, die Familie, die Freunde oder aber etwas völlig anderes, das den notwendigen Halt und die Zuversicht vermitteln kann, die wir brauchen, um auch in für uns schwierigen Situationen eine Zuflucht oder eine“ innere Heimat“ zu finden.
Vor rund 15 Jahren habe ich in dem Vorwort meines ersten „lyrischen Gehversuchs“ mein Buch all denen gewidmet, die meiner Seele ein Zuhause geben. Dieser Gedanke und dieses Bild haben sich für mich über die Jahre mehr und mehr verstärkt und sich tief in meinem Innersten fest verankert. Ja, an diesem Bild hänge ich und in dieses Gefühl des Verstanden- und des Aufgefangenwerdens – ohne dass es dazu viele große Worte und Erklärungen braucht – kann ich mich hineinfallen lassen und vertrauensvoll hineinlehnen.
Einfach sein dürfen; ohne Vorsicht ganz arglos vor einander laut denken zu können; miteinander mitunter auch übereinander herzlich zu lachen; mitzufühlen, wenn der andere leidet; sich an dem Glück des anderen erfreuen zu können und – nicht zuletzt – auch gerade jetzt in dem Augenblick, in dem ich diese Erkenntnisse haben darf, die Dankbarkeit und die Demut darüber zu empfinden, dass ich all diese hier nur beispielhaft aufgeführten Situationen und Gefühle mit so vielen völlig unterschiedlichen Menschen auf so viele wiederum andere Arten und Weisen erleben und so deutlich wahrnehmen kann – das ist etwas „Festes“, das mich trägt.
Ja, daran darf ich als Mensch für mich gefühlt und spürbar zu Anker liegen, wenn mein Lebensschiff wankt oder in schwierige Fahrwasser gerät. Wenn ich vielleicht sinnbildlich das Ruder kurz mal aus der Hand geben muss und einem anderen vertrauensvoll meinen Kurs und seine Einhaltung ohne Vorbehalte und ohne Angst, von meiner persönlichen „Reiseroute“ abzukommen, überlassen kann.
An dieses Gefühl und diese Zuversicht kann ich mich halten und mich darin hineinlehnen, wenn mir der Boden sprichwörtlich unter den Füßen weggezogen zu werden scheint und ich intuitiv ganz automatisch nach etwas Vertrautem suche, das meinen Fall bestmöglich abfedert oder ihn vielleicht sogar verhindern kann.
Aber natürlich brauche ich auch in den Momenten höchsten Glücks und größter Freude und Zufriedenheit die Bodenhaftung und die Erdung, um mich nicht zum Übermut verleiten zu lassen oder aber diese Gefühle nicht für selbstverständlich oder aber mir „verdient zukommend“ zu halten. Auch das Glück braucht die Wahrnehmung der Demut, um dadurch erst spürbar und bewusst als ein Geschenk für einen Augenblick empfunden werden zu können.
Der Oberbegriff für das „Feste“, von dem ich tatsächlich sehr gerne abhänge, lautet dementsprechend Freunde – und einer meiner engsten Freundinnen, die heute Geburtstag hat, widme ich nun mit einem Lächeln und meinen besten Wünschen diesen kurzen gedanklichen Ausflug… ?
S. C. O.

„Ganz schön Morgenstern – ein fantastisches Lesevergnügen“ – so lautet der Titel des Buches, das eine sehr gute Auswahl von Auszügen aus dem Werk von Christian Morgenstern enthält. Für mich ist er als Schriftsteller zeitlos und modern – gerade was die Themen sowie die Aussagekraft seiner Gedanken und Worte betrifft. So lässt der Blick in das Buch einen guten Start in den Sonntag erwarten und regt zum eigenen Nach- und Weiterdenken an.
Es geht mir mit dem Dichter Christian Morgenstern immer wieder so, wie er es einmal über die zwischenmenschlichen Beziehungen insgesamt wohl gewohnt kurz und treffend auf den Punkt gebracht hat:
„Einander kennen lernen, heißt lernen, wie fremd man einander ist.“
Ich finde, dass man, sobald man diesen Satz liest, doch erstmal irritiert stutzt, um dann jedoch schnell festzustellen, dass man sich des Nachdenkens über diese Kernaussage offenbar kaum entziehen kann. Es stimmt: hier sind wir sprachlich und von der Bedeutung her komplett auf dem Holzweg – und offen gesagt auch recht anmaßend. Denn das einander Kennenlernen sagt doch bereits aus, dass hier durchaus Arbeit und zeitlicher Aufwand notwendig sind. Es ist nicht mehr und nicht weniger als ein gemeinsames Erfahrungslernen im Umgang und Austausch miteinander. Wir sind auch hier – jeder einzelne für sich – ewige und lebenslange Schüler in um uns herum wechselnden „Lerngruppen“, die jeweils über eine Mindestanzahl „ab zwei Personen aufwärts“ verfügen.
Selbst von meinen engsten Freunden könnte ich nicht wirklich mit absoluter Sicherheit sagen, wie sie über etwas denken, wie sie handeln oder auf irgendetwas reagieren würden. So nahe wir uns auch immer fühlen: wir sind und bleiben immer eigenständige Persönlichkeiten und lernen immer wieder neue oder bisher unbekannte Facetten aneinander kennen. Das ist doch aber auch das wirklich Tragende und Spannende an allen Formen von „zwischenmenschlichen Beziehungen“: Sie leben von dem gegenseitigen Interesse aneinander; sehr viel Vertrautheit und Verständnis; der Flexibilität, in der Sicht auf den jeweils anderen bei neuen Erkenntnissen immer wieder umdenken zu können und – nicht zuletzt – natürlich auch von der Existenz einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von für alle Beteiligten nahezu unsichtbaren „blinden Flecken“, die jeder von uns – oftmals für sich und andere lange nicht erkennbar – mit und in sich trägt.
Tatsächlich behaupte ich auch oft, dass ich irgendetwas oder aber eine Person „kenne“. Oftmals konkretisiere ich es im Brustton der Überzeugung noch mit: ich kenne jemanden gut oder ich kenne jemanden lange. Und hier hat Morgenstern ganz ohne Zweifel recht: ich ahne maximal den Menschen hinter alldem, was ich zu wissen und zu sehen glaube.
Aber: kann das überhaupt anders sein? Was weiß oder kenne ich denn selbst schon sicher von mir und meinem „Sein und Handeln“? Ganz klar einschätzen zu können, wer oder was ich bin, wofür ich stehe oder stehen will, fällt doch sogar dann bereits schwer, wenn ich hierfür nur den jetzt stattfindenden Moment in der Gegenwart bzw. die eigene erlebte Vergangenheit in der Rückschau betrachte und daraus meine Schlüsse ziehe.
Auch ich ahne mich und das, was ich bin oder im nächsten Moment in der Zukunft sein werde oder sein möchte, doch eher in der Spiegelung des Erlebten und Gelernten. Ich stelle vielmehr reine Vermutungen darüber an, wie ich handeln würde und woran ich mich messen lassen möchte.
Versinnbildlicht stehe auch ich also manchmal vor einem fast blind geworden Spiegel und kann auf den ersten Blick kaum genug klare Punkte erkennen, an denen ich definitiv festmachen könnte, dass das Spiegelbild, von dem ich nur Bruchstücke sehe, tatsächlich eindeutig zu mir gehört. Unwillkürlich reibe ich eifrig an der Spiegeloberfläche und versuche, die blinden Stellen wieder zum Glänzen zu bringen – was tatsächlich oftmals wohl nur unzureichend gelingt. Und doch reicht es mir dann offensichtlich aus, dass ich die „Funktionsweise“ eines Spiegels generell kenne: Wenn ich allein davor stehe und nichts und niemand den „Blick verstellt“, reicht dieses Wissen aus, um zu glauben, dass die Person, die ich im Spiegel nur bruchstückhaft sehe, nur ich selber sein kann. Ohne jeden Zweifel – mit absoluter Sicherheit!
Es ist also wohl doch leichter, als ich zunächst dachte: Ich kenne jeden eben so gut, wie ich mich selber ahne. Und das sollte mir wohl auch vollkommen ausreichen. Schließlich überrasche ich mich selber auch immer wieder – und möchte von anderen gleichfalls weiterhin überrascht werden können. Natürlich enttäusche ich mitunter mich und andere – gleichwohl ich auch anderen zugestehen muss und will, mich enttäuschen zu dürfen. Wir leben in einer Welt, die auf dem Grundprinzip der Gegensätzlichkeiten beruht. Demnach gibt es alles im Moment für uns Sichtbare oder Vorhandene nur um den Preis bzw. den Verlust einer anderen Polarität. Wer das Licht liebt, muss auch mit der Dunkelheit klar kommen können und wer den Wert der Liebe begreifen will, bedarf dazu des Wissens um die Existenz von Gleichgültigkeit, die anstelle des vielfach als Gegenpol angeführten Hasses wohl eher das Gegenteil von Liebe darstellt.
Ich nehme mir ab heute bewusst vor, mir künftig die Freiheit zu lassen, auf Fragen, ob und wie gut ich jemanden oder etwas Bestimmtes kenne, vage antworten zu dürfen. Schließlich glaube ich sicherlich weiterhin oftmals, einen Menschen oder eine Sache recht gut zu kennen, aber sehr sicher vermute ich mehr denn je, dass ich ihn – wenn auch nur im Ansatz oder einer Art Momentaufnahme – wohl doch nur ganz gut erahnen kann.
Sehr sicher stelle ich jedoch, während ich über mein Umfeld nachdenke, deutlich fest, dass ich die Menschen, die mir nahestehen und die jeder für sich für mich unverzichtbare Teile meines Lebens und meiner Gedankenwelt sind, auf alle Fälle sehr gerne kenne – unabhängig von völlig irrelevanten Zeitbegriffen oder Bewertungen.
Vielleicht sind ja bereits schon der Entschluss und seine Herleitung ein Stück weit „ganz schön Morgenstern“ – zumindest für gerade jetzt und für heute und für mich… ?
S. C. O.