Im englischen Sprachraum „fällt man in Liebe“, wenn man die Redewendung wortwörtlich übersetzt. In unserem Sprachgebrauch klingt es irgendwie ungesund, dass man sich „Hals über Kopf“ verlieben kann. Viel besser träfe es doch „Herz über Kopf“, weil die Liebe Gründe kennt, die der Verstand nicht unbedingt verstehen muss … ?
S. C. O.
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Unterm Strich findet man mich!

Der Mann mit Herz für „seinen“ Schiller… ?

Eine ins Bild gefasste Erinnerung an eine außergewöhnliche Begegnung in Weimar im Juli 2017.
S. C. O.
Im Besitz des Augenblicks

Wer liebt, lässt „fünfe gerade sein“…

Es gibt besondere Tage, die uns ein Leben lang präsent sind, an denen „man“ eben einfach weiß, was heute für ein Tag ist. Der 13. März ist für mich so ein Tag. Es ist der Geburtstag meines Großvaters Kurt Powels. Ja – klar, die überwiegende Zeit meines Lebens „verbringe“ ich den Tag schon sehr lange ohne ihn und doch: er wirkt weiter und ist damit irgendwie geblieben. Wenn ich an ihn denke, glaube ich, dass ich ihm die Liebe zu allem „Unperfekten“ verdanke. Und: Nein – leicht konnte er wohl gleichfalls nicht!
Gab es überhaupt einen „Bruch“, einen Widerspruch, den er nicht mit sich getragen hat?
Er stammte aus Königsberg, war ein Berufskraftfahrer mit einer „Rot-Grün-Schwäche“ – also umgangssprachlich farbenblind – und ein sehr begabter Musiker, der in die Hölle des Krieges ziehen musste. Meine Mutter sagt, dass er Marschmusik mochte – und da bin ich gedanklich raus! Ich liebe – genau wie er – die Musik. Aber absolut verzichtbar sind für mich gerade Märsche und volkstümliche Musik.
Marschmusik erinnert mich tatsächlich nur an Feldzüge und Kriege, in denen Menschen in meiner Vorstellung einer Melodie und einer Ideologie gleichsam beschwingt folgen – etwas, das ich aus tiefster Seele nicht übereinander bringe. Wer die Musik liebt, liebt das, was Musik ausmacht: die Harmonie, die uns in einen Bann ziehen und fesseln kann; das Licht, das sie in der Seele anzuzünden vermag; ein Verstehen oft ohne Worte, das das Herz erwärmt und die Macht, die sie gleichzeitig ausübt, wenn ich selbst bei Musikarten, die ich überhaupt nicht toll finde, merke, dass ich automatisch im Takt mit den Füßen wippe und ich dann oft achselzuckend und schmunzelnd hinnehme, dass ich mich, auch allem „Nichtgefallen“ zum Trotze, der Wirkung auf mich nicht einfach so entziehen kann.
Und doch glaube ich langsam mit der wachsenden Zahl meiner Lebensjahre und den damit verbundenen Erkenntnissen und Erfahrungen auch mehr und mehr verstehen zu lernen. Vielleicht, so denke ich mir, war das für meinen Opa gerade auch der einzige Trost: der Musik folgen zu können – durch den Krieg und seine Schrecken; durch die daran anschließende Kriegsgefangenschaft in Sibirien. Er soll eine schöne Stimme gehabt haben und hat mehrere Instrumente gespielt. Wie er meiner Mutter erzählte, hat er wohl auch in der Gefangenschaft singen und spielen „müssen“ – auf Wunsch der „Lagerkommandanten“ und der Mitgefangenen.
Er hat ansonsten wohl sehr wenig über diese Zeit gesprochen – wie viele eben unfähig waren, das Grauen in Worte zu fassen. Eben ein Angehöriger einer „verlorenen und sich selbst überlassenen Generation“. Wie schwer wiegt die Last des Schweigens? – frage ich mich oft. Wie konnte es ein musischer Mensch ertragen, zu kämpfen, um selbst zu überleben? Ein Mensch, den ich nur liebevoll und geduldig erlebt habe und der es verstand, mir das Gefühl zu geben, dass ich genauso wie ich war, richtig war. Nur das – und dessen bin ich mir erst heute bewusst – ist das, was mich trägt und mich impft für die schwierigen Zeiten im Leben: zu wissen, dass wir nichts beweisen müssen, um geliebt zu werden – wir müssen nichts scheinen und dürfen einfach nur sein! Manche Geschenke nehmen wir wohl beiläufig, fast wie im Vorübergehen, mit und entdecken ihre Bedeutung für uns oft erst sehr viel später.
Und ja: dann wird mir klar, wie schwer es für ihn gewesen sein muss, gegen sein Gewissen zu handeln, womöglich töten zu sollen und gleichzeitig um das eigene Überleben zu kämpfen, mit dem Grauen des Krieges über die Tage zu kommen und zu versuchen, seine Seele dennoch vor den deutlichen Gebrauchsspuren zu schützen.
Wie häufig, so frage ich mich gerade, kann die Seele wohl ihre Tode auf Raten sterben – unsichtbar für die Augen der anderen. Und dann rührt sich in mir ein ganz klares Gefühl, das denjenigen einhüllt, der die Wahl nicht getroffen hat, der die Freiheit nicht hatte, zu sagen: „Nein, danke! Macht das mal ohne mich!“
Und ich denke, während ich dies nun schreibe, dass es ein Geschenk ist, frei entscheiden zu dürfen. Wie oft mache ich es mir zu leicht, wenn ich mir ein ums andere Mal einreden will, dass ich manche Dinge nicht selbst entscheide. Wie häufig meine ich eher: es ist nicht leicht – und ich staune dann im Nachhinein, wenn ich es einfach versuche und merke, dass das genau der Weg ist: wir lernen, weil wir etwas probieren. Wir lernen einfach – wie die Kinder: solange fallen und aufstehen, bis wir immer sicherer gehen.
Und ich habe gelernt, „fünfe gerade sein zu lassen“, und zwar von dem Menschen, dem ich heute mit einem Lächeln ganz bewusst viele schöne Momente meines Lebens widmen will – und dem ich verspreche, an den allermeisten Tagen auch zukünftig für ihn glücklich sein zu wollen. Ein Geschenk, über das sich mein Opa sicher gefreut hätte und das seinen Wert für mich schätzend dann auch wieder zu mir zurückkehrt… ?
Sermin Christina Orucoglu
Wenn wir in der „Schule des Lebens“ nicht lernen…
- … für die Rechte eines Anderen vorbehaltlos einzustehen, …
- … uns nicht nur hinter und neben, sondern auch vor einen Menschen in Not stellen zu wollen, …
- … einander für die Freiheit des Einzelnen zu begeistern, …
- … den Teil unserer Welt, den wir verändern können, zum Nutzen aller aktiv mitgestalten zu wollen, …
- … auch unsere vermeintlichen Gegner vor Verfolgung, Willkür und Ungerechtigkeit zu schützen, wie wir es für die Freunde selbstverständlich tun würden, …
- … , dass Liebe manchmal einfach auch beinhalten muss, auf eigene Irrtümer und Irrwege hingewiesen zu werden, …
- … einander einfach gerade für das zu lieben, was wir sind und nicht für etwas, das wir sein sollten, um geliebt werden zu können, …
- …, dass das Lachen oftmals die schönste Möglichkeit ist, beide Augen zuzudrücken und der „Welt“ die Zähne zu zeigen, …
…, dann ist unsere „Versetzung“ vermutlich immer wieder stark gefährdet!!!
Wie oft wohl,…
… frage ich mich, sind von uns als solche wahrgenommene
„Helden“ einfach nur Menschen, denen zur Feigheit
der Mut fehlte…
S. C. O.
Eine Frage der Schreibweise
Die Fallstricke unserer Sprache liegen oft in der Schreibweise und der korrekten Anwendung der Worte.
Wie schnell wird aus „rechtmäßig“ – „recht mäßig“
oder aber aus
„Mein Eid“ – „Meineid“
Es ist doch sehr klar zu sehen: manchmal ist es einfach „nur“ ein schmaler Grat zwischen einem Schreib- und einem Charakterfehler!
„Wo kämen wir denn hin…“

Heute ist so ein Tag, an dem sich meine Gedanken mit einem Lächeln auf die Ursprünge richten. Es ist der 22. Februar und damit jährt sich der Geburtstag meiner Großmutter nun zum 104. Mal. Sie starb, als ich gerade sieben Jahre alt war, und sie ist auf dem Bild oben fast genau in dem Alter, in dem ich mich aktuell befinde: also etwa 54 Jahre alt.
Die Frage ist nicht, wie lange ein Leben andauert – es kommt darauf an, was man hinterlässt, einfach, weil man da war. Es kommt einzig auf die Qualität an – und manch einer fasst sich auf Erden eben leider kurz…
Als ich ein Kind war, begannen die Sätze meiner Oma – als Spiegel des Verhaltens – manchmal mit den Worten: „Wo kämen wir denn hin…“ Ein Satz, den wohl viele Großeltern dieser Zeit ihren Enkelkindern gerne weitergegeben haben als Einleitung zum Nachdenken.
Ich habe ihn oft gehört – vermutlich, weil ich diese Aufforderungen zur „Selbstreflexion“ auch einfach etwas mehr brauchte als andere Kinder. Ich sehe es heute als eine Art „Anregung“ meiner Oma, mich auch unbequemen Herausforderungen zu stellen. Ja: Wo käme ich wohl hin, wenn ich einfach mal etwas ausprobieren würde, statt mich von vorneherein auszubremsen und zu überlegen, wohin eine spontane Idee oder ein neuer Weg mich denn „schlimmstenfalls“ führen könnten?
Einfach machen und dann mal sehen. Herausfinden, was sich verändert, wenn sich Verhalten wandelt. Neugierig bleiben. Möglicherweise auch vorsichtig und etwas verunsichert an Neues herangehen, aber auch Freude und Optimismus bei aller Ungewissheit als Ausgangsbasis für eine neue Erfahrung ins „Marschgepäck“ packen. Einfach mal machen, einfach mal losgehen – ohne Plan, rein dem Gefühl folgen.
Und bei wie vielen Dingen dachte und denke ich noch heute: wer weiß, wohin es führt – ist es schlau, mich auf dieses Risiko, diese Unwägbarkeit einzulassen? Und ja, oftmals bleibt genau die Zeitspanne zwischen dem sich einen Augenblick lang öffnenden Türspalt und der kurzen Dauer, während die Tür dann leise, aber deutlich vernehmbar, langsam knarrend wieder zurück ins Schloss fällt, für eine Entscheidung übrig. Ein zu langer Moment des Zögerns, des Zauderns – und schon ist die Chance vertan. Klappe zu – Affe tot! – wie es so schön heißt. Was danach bleibt, ist die auf ewig unbeantwortbare Frage: Warum hast du nicht…? Hättest du doch mal… Vorbei! – unwiederbringlich abgelegt auf dem überfüllten Friedhof der vergebenen Möglichkeiten.
Aber: noch öffnet und schließt diese Tür sich doch immer wieder in einem ewig gleich langen zeitlichen Intervall – und dies wohl zu jeder Zeit und lebenslänglich – weil ich es in der Hand habe, in jedem Moment, selbst im vermeintlich letzten, den Fuß blitzschnell in den Türspalt zu stellen und meiner Gegenwart mit einem beherzten Schritt nach vorn für die nächste Zukunft eine völlig neue Richtung zu geben. Dieses Vertrauen zu haben, einfach mal etwas zu probieren und auf den „Bauch“ zu hören – ich glaube, das verdanken wir auch den Menschen, die uns Mut machen, einfach zu sein und uns auf uns selbst zu verlassen.
Und so nehme ich alle diese „Wo kämen wir denn hins…“ – die ich gehört habe, und es waren wie erwähnt viele in der doch nur recht kurzen Zeit, die ich mit meiner Oma verbracht habe, als „Dauereintrittskarte“ zu dem immerwährenden „Abenteuerspielplatz Leben“. Es bedarf eben nicht der Vorbedingung, dass ich weiß, was ich so genau will, sondern ich kann einfach der leisen inneren Stimme folgen, die mir sagt: „Hey, wachse doch einfach in dein Leben rein. Du hast doch Zeit, herauszufinden, wo es hingehen soll. Beschreite deine Wege und ziehe deine Bahn. Finde heraus, was dir guttut oder aber eben oftmals auch, was dir so nicht guttut. Lerne zu wollen, was du tust oder akzeptiere genauso bewusst, was du eben einfach überhaupt nicht brauchst, um dir selbst zu entsprechen.“
Ich bin nun inzwischen 53 Jahre alt – und ja, die Fragen und die Zweifel während der Entscheidungsphase: Traue ich mich oder lasse ich die Zeit verstreichen – die sind geblieben. Was sich mit zunehmendem Alter verändern kann, ist allerdings die natürliche „Reaktionszeit“: Die Tür fällt eben gefühlt „schneller ins Schloss“…
Und gerade heute, wenn ich über die Frage meiner Oma: „Wo kämen wir denn hin…?“ – nachdenke, glaube ich eine leise flüsternde und mir wohlvertraute Stimme zu hören, die mir sanft ins Ohr raunt: „Sermin, nicht so viel denken! Vertrauen und machen! Sei was du bist und werde, was du werden kannst! Sei dir selber nie genug, habe Mut und pass gut auf dich auf!“
Und ich höre, wie sich die offene Tür vor mir leise und allmählich halblaut langsam knarrend schließen will, stelle den Fuß blitzschnell entschlossen dazwischen, werfe mich durch den schmalen Spalt „auf gut Glück“ hindurch, um ein weiteres Mal herauszufinden, wohin ich wohl komme, wenn ich jetzt ganz einfach gehe…
Sermin Christina Orucoglu
Die Spuren im Schnee von gestern…
Das einzige, was mich an Schneeflächen, seit ich erwachsen bin, wirklich noch begeistern und anrühren kann ist, wenn ich an einem Wintermorgen als allererste einen Spaziergang im frischgefallenen Schnee mache und dort meine Fußspuren stapfend und für alle Nachfolgenden des Tages sichtbar hinterlasse. Gleich dem tausendfachen Ausruf, den man dem einen oder anderen Graffiti, das an Wände gesprüht wurde, oft entnehmen kann: ICH war da! – vermutlich als eine Art von Signal an sich und die Welt, dass „man stattgefunden“ hat, eben „da war“! – Ein nun damit unübersehbarer und unauslöschlicher Teil des „Weltengedächtnisses“!
Okay – es handelt sich in meinem Falle um eine Schneedecke, die sich in absehbarer Zeit von selbst auflöst. So ist das nun mal mit dem „Schnee von gestern“. Und gleichfalls richtig: sobald weitere Menschen ihre Spuren darüberlegen oder ihrerseits ebenfalls unweigerlich Fußabdrücke hinterlassen, ist der „Zauber meiner ersten Spur“ vorüber. Es ist also wohl doch nur „ein Triumph des Augenblicks“ – könnte man denken…
Aber: Nein! Sie ist immer noch da, auch wenn es gleichfalls stimmt, dass das Bild der Fußspur sich augenscheinlich mit der Zeit deutlich verändert haben kann. Aber das schränkt doch meinen erlebten „Glücksmoment“ und seine Wirkung auf mich und meine künftige Erinnerung daran überhaupt nicht ein.
Es ist nicht notwendig, dass alles das, was mich begeistert und fasziniert, so bleibt, wie es in dem Augenblick war, als der Eindruck entstand. Auch ist es nicht relevant, dass sich Dinge möglicherweise so deutlich verändern oder verändern werden, bis sie vielleicht kaum noch oder gar nicht mehr für mich sichtbar sind. Das einzige was wirklich zählt, ist der Eindruck, den etwas oder auch jemand auf mich gemacht hat – und dieser kann sich zwar verwischen lassen, bleibt aber unwiderruflich Teil meines Lebens und damit des Wirkens auf mich – bis ans natürliche Ende meiner Erinnerungsfähigkeit.
Ja, eines macht mir dieses Bild der „Fußspur im ersten Schnee“ klar: Vieles von dem, was uns prägt und seine Eindrücke auf und in uns hinterlässt, muss nicht immer sofort sichtbar bzw. nicht immer auf den ersten „Blick zurück“ wieder sofort deutlich zu erkennen sein. Oft bedarf es längeren Nachdenkens oder aber einer „zufälligen Erinnerung“ an längst irgendwo in uns abgelegten Geschichten, Begebenheiten und Begegnungen, um eine unverstellte Sicht auf Augenblicke und deren Bedeutung für uns und unser Denken, Handeln und Fühlen zurückzugewinnen.
Jeder erste Eindruck von etwas oder jemandem auf uns ist und bleibt einzigartig und jede spätere gedankliche Veränderung, jedes Verdrängen und jede zeitliche Entfernung von Menschen und Dingen die uns prägten, sind nur eine Art von Verpackung, die wir darumlegen, um uns mit dem Geschenk des „sich Wiedererinnerns“ an Begegnungen, Augenblicke und allem, was Spuren in uns hinterlassen hat, zu jeder Zeit selber überraschen können.
Der Gewinn dieser „Rückschau“ liegt nicht in einer Art von Sentimentalität, in die „gute, alte Zeit“ zurückkehren zu wollen, sondern vielmehr darin, eine Zeitreise in das damalige Gefühl des Moments zu unternehmen, um dem Erlebten so „verwandelt“ seinen ihm gebührenden Platz in meiner Gegenwart zuweisen zu können.
Und so ist für mich als „selbsterklärtes Sommerkind“ gerade im Winter der tröstende Lichtblick für die Dauer dieser Jahreszeit, dass alles, was vergangen ist, nun einmal immer wieder neu beginnen muss, damit es letztlich auch verändert bleiben kann… ?
S. C. Orucoglu
